I EXTREM GEMISCHTER CHOR
Rosa Klee Chorgemeinschaft und »Volksgemeinschaft«. Stimmst du mit ein?
Kalas Liebfried Chor als Widerstand. Salomé Voegelin im Gespräch mit Kalas Liebfried über klangliche Koexistenz, Zuhören und Verantwortung
Ulrike Hartung Die Liebhaberinnen oder: Empathie als musiktheatrale Praxis
Fabian Peltsch Im Chor bist du mehr als ein ›Ich‹. Chinas Chöre im Kampf gegen Leistungsdruck und Wachstumszwänge
Lena van der Hoven Chöre als Spiegel der Gesellschaft. Verhandlung geschlechtsspezifischer Gewalt in Südafrika
Positionen »… im Körper, vom Körper, durch den Körper«. Ein Interview mit dem Psychedelic Choir
Analyse Log Book. Ein Musikkartenspiel – im Kollektiv analysiert
II SPECIAL
SinGeSang-Buch für eine kommende Praxis
III POSITIONEN
The Psychedelic Choir: Sabotage Manual; CD Landscapes of Memory; NOW! Festival Essen; Ultraschall Berlin; Marko Nikodijević; Radio Cologne Sound und Subcontinental Synthesis; Nico Sauer: Carne/Valley; Sonic Matter Zürich; Dressed In Sound: Sharper than a needle; Tim Brady: Imagine Many Guitars; Eres Holz: Death; Placentia Bay: Summer of 1941; Iannis Xenakis; Musik über Stimmen; Michael von Hintzenstern: Klänge des Augenblicks; Jennifer Walshe: 13 Ways of Looking at AI; Clément Vercelletto: L’Engoulevent
Eine Woche nach Erscheinen dieses Hefts wird in Nürnberg das Deutsche Chorfest ausgerichtet: 400 Chöre sollen daran teilnehmen– das Singen in der Gruppe ist offensichtlich beliebt wie eh und je, der Hashtag heißt #DeutschlandSingt. Gleichzeitig ist der Abschluss der Arbeit an der 143 mit den Freisprüchen von #Sylt zusammengefallen: Chorsingen verbindet – leider auch die falschen. In der neuen Musik ist es dagegen überraschend still um den Chor: Es gibt zwar Vokalensembles, gemeinsam gesungen wird aber von Vokal-›Solisten‹. In einer Zeit, in der das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit wächst, gleichzeitig aber ihre Formen brüchig geworden sind, erfährt der Chor neue Konjunktur. Doch was ist ein Chor? Ein Werkzeug politischer Formation? Oder ein Versprechen, das nicht einlösbar ist? Benjamin von Bebber und Leo Hofmann haben uns mit ihrem szenischen Konzert für »extrem gemischten Chor« die Anregung für den Titel der Positionen #143 gegeben.
Mit dem Muff von tausend Jahren räumt in diesem Heft gleich zu Beginn Rosa Klee auf und unterzieht das gutbürgerliche Chorsingen einer derart radikalen Kritik, dass am Ende Raum für Neues entsteht. Das braucht dieses Thema auch, denn damit ist der Weg frei für Salomé Voegelin, die im Gespräch mit Kalas Liebfried versucht, eine zukünftige Praxis zu entwickeln, in der der Chor zu einem »Modell für das Zusammenleben« wird. Wie das konkret aussehen könnte, zeigt der Psychedelic Choir, mit dem wir im Nachgang zu einem Konzert ein Interview geführt haben. Es sind Mitglieder dieses Chors, die auf dem Cover dieses Hefts zu sehen sind und von der Fotografin Evgenia Chetvertkova in Szene gesetzt wurden.
Vielleicht gibt es den Chor der Zukunft aber auch schon heute und diese Möglichkeit umrahmen die drei Texte in der Mitte unseres Hefts: Ulrike Hartung schreibt über Die Liebhaberinnen, die Musiktheaterinszenierung eines Jelinek-Stücks im nördlichsten Opernhaus der Welt, Lena van der Hoven widmet sich der einzigartigen Chorbewegung Südafrikas und den Funktionen von Chören in Musiktheaterkompositionen zum Thema geschlechtsspezifischer Gewalt. Den Blick nach China, wo Chormusik zwischen Staatspropaganda und Pop-A-Cappella noch einmal in ganz anderen kulturellen Zusammenhängen steht, richtet schließlich Fabian Peltsch, der dank einer Recherchereise des Goethe Instituts vor Ort in eine Musikszene eintauchen konnte, die tatsächlich die Millionen erreicht.
In der Gruppe ist auch unser Beitrag für die neue Analyse-Sektion entstanden, die wir im letzten Heft eröffnet haben: Das Zafraan Ensemble hat mit dem Komponisten François Sarhan ein Musikkartenspiel namens Log Book entwickelt, das wir zu sechst gespielt haben. Das Ergebnis ist ein Tischgespräch mit einer Fallhöhe zwischen E-Musik und Ecstasy, dessen Transkript hier zu lesen – und warum eigentlich nicht mit verteilten Rollen nachzuspielen? – ist. Genauso eine Einladung ist auch unser diesmaliges Special: Aus Partituren zusammengestellt hat das Team von Studio Pandan ein SinGeSang-Buch für eine kommende Praxis des chorischen Beisammenseins gestaltet, in dem jede Note, jede Linie, jede Fläche zur Geste wird, die wir gemeinsam mit unseren Mündern zum Ausdruck bringen wollen.
Viel Spaß beim Lesen und gemeinsamen Singen wünschen
Patrick Becker & Bastian Zimmermann